DIE BALLADE VOM
TOTEN ALBANISCHEN DICHTER
BAHNHOF AM MEER
NICHT DENKEN
SOMMERWOLKEN
Die Ballade vom

toten albanischen Dichter


Von einem Containerschiff
sieht man in der Ferne die Lichter
Und irgendwo an Bord liegt
ein toter, albanischer Dichter

Ein blinder Passagier wird
heutzutage nur selten entdeckt
besonders, wenn einer wie er
zwischen zwei Containern verreckt

Verdammt, ich erhebe mein Glas
auf das unerkannte Genie
Zwischen Plastik aus Taiwan
zu sterben, das wollte er nie

Das Schiff verschwindet in der Nacht
Der Jupiter geht strahlend auf
und hinter mir in den Bergen
nehmen Waldbrände ihren Lauf

Als wäre es für ihn, so leuchtet
der Himmel zum letzten Mal
und seine Worte zerreißen mich
und ich spüre seine Qual

Ach, ich weiß nicht, wenn ich
die Augen schließe, seh ich's vor mir
das Letzte, was er heut schrieb
auf dem zerknüllten Papier

Es wusste leider keiner
dass er schrieb, welche Worte er fand
Wenn er in Bari gefunden wird
ist er irgendein niemand

Nur einer von vielen, zerquetscht
in den Meeren ertrunken
Aber ich, ich sitze hier
nachts in Patras, in Trance versunken

Maria, Papier, den Rest Brandy
dort und bitte mehr Licht
Ich werde versuchen, es zu schreiben
dieses eine Gedicht:

NJE MBREMJE BUKURA
DUKE PARE DETIN
ME NGJUREN E KALTER
DHE MENDOJ  PER JETEN TIME*


Am Ende leise gesprochen:
Barjam, mein Gott
 was ist passiert
Barjam, Barjam, ...



© William Schwarz
 

*Übersetzung aus dem Albanischen:
Was für ein schöner Abend
Schau das Meer
in seiner blauen Farbe
ich denke über das Leben mein

Bahnhof am Meer

Die Mörder waren keine
Künstler, Explosionen
keine Visionen

Ein Speisewagen
rote Samtgardinen
und eine Flucht auf Schienen

Der Bahnof liegt am Meer
mit Möwen über den Zügen
und Wellen grau wie Lügen

Refrain:
Der Jüngere sagt etwas
und der Ältere lächelt
zwischen zwei Augenblicken
unendlich viele ...
Augenblicke


Zwei Männer, zwei Kaffee
sie reisen lange schon
so wie Vater und Sohn

Sie haben ihr Geld
eingenäht im Hosensaum
für ihren alten Traum

Wenn die Gewalt zunimmt
am Ende einer Ära
ist der Hass ganz nah

Refrain:
Der Ältere sagt etwas
und der Jüngere lächelt
zwischen zwei Augenblicken
unendlich viele ...

Augenblicke

Die Zeit der Maßlosigleit
der Pleiten, des Vergeh’ns
und für sie, Zeit des Geh’ns

Die Bestien werden schon
gar nicht mehr erkannt
und die Macht ist braungebrannt

Das Licht auf dem Bahnsteig
es folgt der Möwen Flug
wie sie dem nächsten Zug

Refrain:
Der Jüngere sagt etwas
und der Ältere lächelt
zwischen zwei Augenblicken
unendlich viele ...
Augenblicke


C:
Und immer
die Unermesslichkeit
der Gegenwart, der Zärtlichkeit
der Sicherheit
trotz allem

Refrain:
Der Ältere sagt etwas
und der Jüngere lächelt
zwischen zwei Augenblicken
unendlich viele ...
Augenblicke


© William Schwarz
Nicht denken

Prolog:
Gedanken nicht denken
Im Kopf immer nur den
einen Satz
für nichts anderes
ist mehr Platz


Doch Angst vor dem Bösen
in der Welt
all dem, was den Leuten
so gefällt

Plötzlich ist es dunkel
überall
in den Städten
herrscht nun Stromausfall

Refrain:
Ach, küss mich
Schlangenzunge
küss mich, du Schlangenfrau
Du wusstest doch alles
ganz genau


Während wir auf dieser
Brücke steh'n
kann ich um uns herum
nichts mehr sehn

Ein paar Scheinwerfer
in der Ferne
sonst nur das Licht
der hohen Sterne

Überall sind die Fern-
seher aus
keiner traut sich mehr
aus dem Haus

Komm, umarme mich
ich seh dich nicht
deinen Mund finde ich auch
ohne Licht

Refrain:
Ach, küss mich
Schlangenzunge
küss mich, du Schlangenfrau
Du wusstest doch alles
ganz genau


Und was machen die Menschen
ohne Licht
über Wochen, über Jahre
ich weiß es nicht

So ist nun das Böse
in der Welt
wenn's den Menschen auch nicht
mehr gefällt

Deine Augen haben
noch Feuer
Nur die Zukunft ist ein
Ungeheuer

Refrain:
Ach, küss mich
Schlangenzunge
küss mich, du Schlangenfrau
Du wusstest doch alles
ganz genau



© William Schwarz
Sommerwolken

Die Sommerwolken
rollen über’s Land
folgen ihrem
unsichtbaren Band

Der Blick aus dem Fenster
gleicht einem Schmerz
wortlos und träumend
dreht er sich rückwärts

Der Sommer kann so
freundlich aussehen
wenn die Fahnen
an den Masten wehen

Refrain
Wenn man schreien könnte
müsste man schreien
Wenn man weinen könnte
müsste man weinen
Wenn man fliehen könnte
müsste man fliehen
Aber man bleibt
am Fenster stehen
und lässt den Tag vergehen


Vor Fenstern wehen
durchschwitzte Betten
Vor diesem Tag
wird sich niemand retten

Die Kinder zünden
ein paar Autos an
Der Sonntag ist
ein müder, alter Mann

Ich seh im Spiegel
so anders aus
und außer mir traut
sich keiner aus’m Haus

Refrain
Wenn man schreien könnte
müsste man schreien
Wenn man weinen könnte
müsste man weinen
Wenn man fliehen könnte
müsste man fliehen
Aber man bleibt
am Fenster stehen
und lässt den Tag vergehen


C
Gibt es denn Hoffnung
im Hier und Jetzt
Keiner lebte
jemals unverletzt
Lebe das Leben
wie einen Traum
Jeder Tag ist
ein freier Raum

Refrain
Wenn man schreien könnte
müsste man schreien
Wenn man weinen könnte
müsste man weinen
Wenn man fliehen könnte
müsste man fliehen
Aber man bleibt
am Fenster stehen
und lässt den Tag vergehen



© William Schwarz